Eine Fabel über die Dankbarkeit – von Aulus Gellius
Ein Sklave namens Androklus entfloh einst seinem Herren und flüchtete in den Wald. Als er zwischen den Bäumen wanderte, traf er auf einen Löwen, der am Boden lag und ächzte und krächzte. Zunächst wollte Androklus die Flucht ergreifen, doch als er bemerkte, dass der Löwe ihn nicht verfolgte, drehte er sich zu ihm um und ging auf das Tier zu. Als er sich ihm näherte, streckte ihm der Löwe seine Pfote entgegen. Diese war ganz geschwollen und blutverschmiert. Androklus sah, dass sie von einem riesigen Dorn durchbohrt war, der dem Löwen solch grosse Schmerzen verursachte. Er entfernte den Dorn und verband die Pfote des Löwen, der kurz darauf wieder aufstehen konnte und Androklus die Hände
ableckte wie ein Hund.
Szene einer Freundschaft: Androklus und sein Löwe
(Quelle: https://goo.gl/images/gs6rjX)
Dann führte der Löwe Androklus in seine Höhle, wo er ihm jeden Tag Fleisch brachte und ihn damit versorgte. Kurz darauf wurden jedoch sowohl Androklus als auch der Löwe gefangen genommen. Der Sklave wurde dazu verurteilt, dem Löwen zum Frass vorgeworfen zu werden, nachdem das Tier tagelang nicht gefüttert worden war. Der Kaiser und sein gesamter Hofstaat fanden sich ein, um dem Spektakel beizuwohnen. Androklus wurde in die Mitte der Arena geführt. Kurz darauf wurde der Löwe aus seinem Käfig entlassen und stürzte sich brüllend auf sein Opfer. Doch sobald er sich Androklus näherte und seinen Freund in ihm erkannte, begann er ihn freudig zu umkreisen und ihm die Hände abzulecken wie ein freundlicher Hund.
Daraufhin wurde der Sklave begnadigt und der Löwe in seinem Heimatwald freigelassen. Dankbarkeit ist das Zeichen einer edlen Seele.
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Beitrag von: Aulus Gellius, aus dem Englischen von Eva-Maria Bellinger (Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe Nr. 14 1/2015 des Magazins Abenteuer Philosophie)
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