Ein fiktives Interview mit dem Dichter Don Miguel de Cervantes über seinen Roman Don Quijote
Am 22. April 2016 verstarb Miguel de Cervantes Saavedra 69-jährig in Madrid, ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des zweiten Teiles seines berühmten Romans „Don Quijote”. Ihm zu Ehren gedachte Spanien ab 23. April mit der Woche des Buches ihres bedeutendsten Dichters. Kurz vor seinem Tod waren wir noch im Gespräch mit ihm.
Señor Cervantes, Sie blicken auf ein reiches, aber nicht immer von äußerem Erfolg gekröntes Leben zurück. Sind Sie trotzdem mit Ihrem Leben zufrieden?
MdCS: Ja, ich bin zufrieden, denn ich habe mit meinem Don Quijote gelernt, dass das Leben gleichsam eine Heldenreise ist, und dass die höheren Ziele, die den Helden begleiten, wichtiger sind als das tatsächlich Erreichte.
Ihr Don Quijote gehört neben Hamlet, Don Juan und Faust zu den unsterblichen Literaturschöpfungen, in denen das ruhelose Streben des Menschen Gestalt angenommen hat.
MdCS: Ja, das ist ein guter Vergleich. Jede dieser Figuren hat allerdings Ihr eigenes Thema. Mein Don Quijote sehnt sich nicht nach Erlösung oder Selbstverwirklichung, sondern letztlich sehnt er sich nach dem goldenen Zeitalter, oder besser formuliert nach einer neuen und besseren Welt.
Das zeigt auch die Aktualität dieses Themas, denn wie viele Menschen tun das heute auch?
MdCS: Ja, freilich. Das Thema des Don Quijote ist brandaktuell.
Wie wird eigentlich der Name „Don Quijote” richtig ausgesprochen?
MdCS: Im Spanischen ist die Aussprache: „Don Kichotte” eindeutig. Im deutschsprachigen Raum wurde der Roman vorrangig in der französischen Fassung bekannt, weswegen sich „Don Kischott” eingebürgert hat.
Was ist eigentlich Ihre Hauptabsicht beim Don Quijote?
MdCS: Es geht mir vor allem darum, unsere heutige „Fassadengesellschaft” aufzuzeigen, in der nur der äußere Schein als perfekte Theaterkulisse zählt, auf Kosten echter Tugenden und Werte. Zum Beispiel echte Liebe, Gerechtigkeit, Edelmut und Schönheit haben heute keinen Wert mehr – im Gegenteil – man wird eher ausgelacht, wenn man davon spricht – so wie eben auch Don Quijote.
Warum haben Sie aber für dieses eigentlich ernste Thema die Form der Parodie und Satire gewählt?
MdCS: Ja, das ist das Schwierige gewesen – aber anders als in dieser Form hätte ich die Dinge nicht so klar und kritisch ansprechen können. Es gibt nach wie vor eine politische und kirchliche Zensur – die diverse Machtinteressen zu sichern weiß. Nur ihre Methoden ändern sich im Laufe der Zeit und der Geschichte. Aber schließlich war es dem Narren – allerdings nur dem Narren – schon immer gestattet, die Wahrheit zu sagen. Ich wollte auch, aufgrund der trüben Zeiten, die wir gerade erleben, etwas Lustiges schreiben, etwas, worüber man lachen kann, allerdings soll sich das Lachen im Lachenden umkehren und in Betroffenheit münden, da er erkennt, dass er eigentlich über sich selbst lacht. Das ist ein sehr wesentlicher Schlüssel für das Verständnis dieses Werkes.
Das ist aber auch ein gutes pädagogisches Mittel, denn die eigenen Fehler zu erkennen, ist wirklich sehr schwer.
MdCS: Da haben Sie ganz recht. Es kann jedem helfen bei der Arbeit mit sich selbst.
Was sind nun Ihre wesentlichen Kritikpunkte, Señor Cervantes?
MdCS: Ich habe unsere Zeit, in der das Geld und böse Mächte herrschen – ich meine hier vor allem die moralische Unzulänglichkeit in der Politik – die Gesellschaft mit ihren materiellen und sozialen Wertigkeiten, die zeitgenössische Literatur, die viele Worte macht und dabei nichts aussagt und eigentlich nur zu einer Selbstdarstellung der Autoren wird, karikiert. Das sind aber nur die wichtigsten Punkte. Sie sagen, „Don Quijote ist brandaktuell”.
Meinen Sie damit, dass wir heute auch alle gegen Windmühlen kämpfen?
MdCS: In gewisser Weise ja. Kämpfen wir nicht alle gegen wie immer geartete Riesen und führen Scheingefechte, in denen wir den „Schein” nicht erkennen? Doch da muss jeder ein bisschen tiefer nachdenken, damit er „seine eigenen” Windmühlen erkennt.
Wie würden Sie – ganz kurz – die Protagonisten charakterisieren?
MdCS: Don Quijote ist der großherzige Träumer, der für das Gute und die Gerechtigkeit lebt, getragen von seiner Liebe zu seiner Dame Dulcinea. Sancho, sein Knappe, nicht sehr intelligent, aber mit gesundem Hausverstand und seinem Herrn von Herzen und in Treue ergeben, lernt durch den Einfluss Don Quijotes, seinen Materialismus in Idealismus zu verwandeln. In diesem Sinn ist das Kernthema auch die Kraft, die vom Guten, Gerechten und von der Liebe ausgeht. Diese Kraft bewirkt eine Verwandlung. Don Quijote hätte auch Alonso Quijana, ein gelangweilter und alternder Landbesitzer bleiben können, für den das Leben nichts weiter mehr bereit hält. Er hat sich aber für Abenteuer und Gerechtigkeit entschieden, die aus ihm einen neuen Menschen – einen fahrenden Ritter – gemacht haben.
Rosinante, sein Pferd, soll in Wirklichkeit ein männliches Pferd sein?
MdCS: Ja natürlich. Der Name „Rocinante” bedeutet eigentlich „Der Erste der Gäule” (aus rocín = Gaul, Klepper und ante = vor, voran) – was, wie alles in dem Buch, symbolisch zu verstehen ist – wie übrigens auch alle Namen, die ich verwende, eine tiefere Bedeutung, einen tieferen Sinn haben.
Gegner werfen Ihnen immer wieder vor, dass Sie mit Ihrem Werk eine Art Weltflucht propagieren und die Menschen darin bestärken, vor den eigentlichen Problemen und vor der Wirklichkeit in eine gewisse „Verrücktheit” zu flüchten.
MdCS: Hier möchte ich mit den gleichen Worten antworten, die ich auch im Musical „Der Mann von la Mancha” sage: Wenn das Leben selber verrückt ist, wer soll dann noch wissen, wo der Wahnsinn liegt? Vielleicht ist es Wahnsinn, sich Träumen hinzugeben und Schätze zu suchen, wo nur Schutt ist. Aber vielleicht ist es auch Wahnsinn, normal zu sein. Aber ganz gewiss ist es der allergrößte Wahnsinn, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht so zu sehen, wie es sein sollte.
Wie steht ein Mann, der in der Schlacht von Lepanto zu militärischen Verdiensten gelangt ist, zu der aktuellen Frage des Krieges?
MdCS: Obwohl das Soldatenleben im Sinne eines Rittertums mit echten Idealen und dem Kampf für das Gute und Gerechte mit seinen Entbehrungen und Gefahren wertvolle Erfahrungen im Leben eines Mannes bringen kann, ist in der heutigen Situation mit den Feuerwaffen, diesem Irrsinn aus Feuer und Blei, kein Sinn mehr zu erkennen. Das größte Gut, das sich die Menschen im Leben wünschen können, ist der Friede.
Was sagen Sie dazu, dass Ihr Bild auf den spanischen 10-, 20- und 50-Cent-Münzen geprägt ist?
MdCS: Auch bei mir hat sich der Satz bewahrheitet, dass der Prophet im eigenen Lande nichts gilt. Aber hier möchte ich lieber mit Sancho, der ja die Sprichworte so liebt, antworten: Wer das Kleine nicht ehrt ist das Große nicht wert! Oder anders ausgedrückt: Ich habe im meinem ganzen Leben nicht mit so viel Geld zu tun gehabt wie jetzt.
Señor Cervantes, welche abschließende Botschaft wollen Sie noch unseren Lesern mitgeben?
MdCS: Ich möchte sagen: Jeder Mensch sollte, wie Don Quijote, in die Welt hinausziehen, um für seine Ideale zu kämpfen, um das Gute und Gerechte und Schöne zu verteidigen. Es lohnt sich auf jeden Fall. Wenn es auch einige Konflikte oder Niederlagen mit sich bringt, so vermag es uns doch aus einem bedrückenden Alltag herauszuholen und die Welt ein bisschen zu besser machen, als wir sie vorgefunden haben.
Anmerkung: Miguel de Cervantes Saavedra wurde am 29. 9. 1547 geboren und starb am 22.4.1616 – fast gleichzeitig mit William Shakespeare. Der Originaltitel seines besprochenen Werkes lautet für Band 1: EL INGENIOSO HIDALGO DON QUIXOTE DE LA MANCHA 1605 – Der scharfsinnige Edle Herr Don Quijote de la Mancha und für Band 2: SEGUNDA PARTE DEL INGENIOSO CABALLERO DON QUIXOTE DE LA MANCHA 1615 – Des scharfsinnigen Ritters Don Quijote de la Mancha zweiter Teil. Übrigens: Die Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit ist ein beliebtes Stilmittel des Cervantes im Don Quijote.
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Beitrag von: Barbara Fripertinger
(Dieser Artikel erschien erstmals in der Ausgabe Nr. 142/2015 des Magazins Abenteuer Philosophie)
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Literaturverzeichnis:
– Cervantes´ Don Quijote von Horst Weich, Piper Verlag, München 2001 Der Mann von la Mancha, Musical von Dale Wassermann, deutsche Fassung, Felix Bloch Erben, Berlin
– Miguel de Cervantes, Don Quichote, 2060 dtv, München 1994 Kindlers Literatur Lexikon, Bd. 11, dtv, München 1974
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