Obwohl viele von uns das Wort „Arbeit“ vielleicht unbewusst automatisch negativ assoziieren, ist die Arbeit einer der wichtigsten Aspekte der Identität. Das größte psychische Problem von arbeitslosen Menschen ist die Minderung des Selbstwertgefühls und das Empfinden, keinen Nutzen mehr für die Gesellschaft zu haben. Der Mensch definiert sich durch das, was er tut und schafft.
Khalil Gibran schreibt in seinem Buch „Der Prophet“:
Denn müßig sein heißt, den Jahreszeiten fremd zu werden und auszuscheren aus dem Lauf des Lebens, das in Würde und stolzer Ergebung der Unendlichkeit entgegenschreitet.
Wenn ihr arbeitet, seid ihr eine Flöte, durch deren Herz sich das Flüstern der Stunden in Musik verwandelt.“
Die Arbeit ist einerseits für den Einzelnen wichtig, um sich selbst zu entfalten und durch das „Be-Greifen“ zu lernen, andererseits natürlich für die Gemeinschaft, die Gesellschaft und den Staat. Menschliches Zusammenleben ist nur durch den Beitrag jedes Einzelnen zum Allgemeinwohl möglich. Oder ganz einfach ausgedrückt: Menschliches Überleben ist nur durch Arbeit möglich, z.B. Beschaffung von Nahrung oder Kleidern als Schutz vor Kälte.
In der Bhagavad-Gita, dem heiligen Buch des Hinduismus, sagt der Gott Krishna, dass alle Wesen handeln; auch er – Gott selbst – handelt, denn würde er das nicht tun, würde die Welt zusammenbrechen. Er wirkt durch die Gesetze und die Schöpfung und er handelt stetig und unentwegt.
Das Leben jedes Menschen ist nur dadurch möglich, weil in seinem Körper „gearbeitet“ wird: Das Herz schlägt, der Körper verbrennt Nahrung, die Zellen erneuern sich … In der Natur sind alle Wesen tätig: Pflanzen, Tiere, die Elemente …
Leben heißt Aktivität, Arbeit, Bewegung, Veränderung.
Die Natur, die Große Mutter, Gott, oder wie immer wir es nennen wollen, beschenkt uns mit ihren Gaben: der Schöpfung, Nahrung, Luft zum Atmen und vielem mehr. Sie erneuert sich im Wechsel der Jahreszeiten und befindet sich in ständiger Aktivität. Die Tätigkeit des Menschen ist wie eine Rückerstattung, das Begleichen einer Schuld und sein Beitrag zum Werden der Natur und zur Entwicklung der Welt.
Vielleicht denken Sie jetzt – so wie ich -: Diese philosophischen Gedanken klingen ja ganz schön und gut. Doch wenn wir unsere Realität betrachten, dann sehen wir, welche Arbeit manche Menschen heute verrichten müssen und unter welchen Bedingungen! Und dann wird uns klar, dass es eine große Herausforderung bedeutet, diesen geistigen Aspekt in jede Arbeit hineinzutragen.
An manchen Orten der Welt herrscht moderne Sklaverei: Leibeigenschaft, Kinderarbeit, Fließbandarbeit, lebensgefährliche, ausbeuterische Arbeit ohne Sicherheitsvorkehrungen, Menschenhandel, Kinderprostitution. Obwohl wir in unserer westlichen Welt davor eher verschont bleiben, ist die Lage auch hier nicht rosig. Viele Leute klagen über die Sinnlosigkeit ihrer Arbeit, sie fühlen sich wie ein Rädchen im Getriebe und haben keinen Bezug zum Ergebnis ihrer Arbeit. Wir leiden unter gesundheitlichen Problemen durch sitzende oder einseitige Tätigkeit, sitzen in klimatisierten Räumen oder haben kein Tageslicht am Arbeitsplatz.
Die Unnatürlichkeit unserer Arbeitsbedingungen spiegelt sich in der Entfremdung unserer heutigen Gesellschaft von allem „Menschlichem“ wider. Trotz alledem ist es unbedingt erforderlich, seiner Arbeit einen positiven Sinn zu geben. In einem englischen Text aus dem 16. Jahrhundert heißt es: „…denn dein Tun und Handeln ist ein wahrer Besitz unter all den Dingen, deren Wert mal zu-, mal abnimmt.“ Manche Menschen haben einen Job, der sie nicht gerade ausfüllt – nun gut, aber man braucht Geld zum Leben. Und wen sein Job nicht befriedigt, der sucht sich oft andere Tätigkeiten, die ihn erfüllen. Sinnvolle Freizeitgestaltung, Sport, Lektüre, Hobbys, usw.
Wahrhaft befriedigend aber sind jene Tätigkeiten, die man für andere tut, aus Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Großzügigkeit. Die Bhagavad-Gita lehrt, dass der Mensch lernen muss, die „Rechte Handlung“ zu verrichten, eine Handlung, in der man keinen Lohn erwarten darf und die ihren Sinn nur in sich selbst findet. Nicht das Ergebnis ist wichtig, sondern die rechte Tätigkeit und das sinnvolle Tun. Die Weisheit des Ostens fordert die Menschen dazu auf, alle Handlungen mit diesem Bewusstsein zu setzen. So sagt der Buddhismus, dass jede Arbeit um ihrer selbst willen geschehen soll. Auf diese Weise haftet der Mensch nicht mehr am Ergebnis und erlangt wahre Freiheit. Dann würde der Mensch mit dem Kosmischen Gesetz (dem Sinn des Lebens oder der Evolution) in Einklang stehen und in seiner Entwicklung vorankommen.
Jede Handlung, die anderen Menschen zugute kommt, ist eine „Rechte Handlung“. Wie erfüllend ist es, wenn man anderen Menschen ganz uneigennützig helfen kann, wenn man sich sozial engagiert oder auf irgendeine Weise für das Gemeinwohl ehrenamtlich tätig ist. In Neue Akropolis arbeiten alle ehrenamtlich, auch die AutorInnen und MitarbeiterInnen der Zeitschrift „Abenteur Philosophie„. Unser „Lohn“ ist die Befriedigung, mit dieser Tätigkeit etwas Sinnvolles zu tun, andere Menschen anzuregen, Denkanstöße zu geben. Lassen wir zum Abschluss noch einmal Khalil Gibran zu Wort kommen:
„Und alle Arbeit ist leer, wenn die Liebe fehlt;
Und wenn ihr mit Liebe arbeitet, bindet ihr euch an euch selber und an Gott.
Und was heißt, mit Liebe arbeiten?
Es heißt, das Tuch mit Fäden weben, die aus euren Herzen gezogen sind, als solle euer Geliebter dieses Tuch tragen.
Es heißt, ein Haus mit Zuneigung bauen, als solle eure Geliebte in dem Haus wohnen.
Es heißt, den Samen mit Zärtlichkeit säen und die Ernte mit Freude einbringen, als solle euer Geliebter die Frucht essen.
Es heißt, allen Dingen, die ihr macht, einen Hauch eures Geistes einflößen. (…)
Arbeit ist sichtbar gemachte Liebe.“
„Gute Arbeit“ wünscht Ihnen
Gudrun Gutdeutsch &
Ihr Treffpunkt
Philosophie Zürich
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