Weimar. Johann Wolfgang von Goethe übt harte Kritik an unserer heutigen Wissenschaft. Er überrascht mit eigenen – durchaus revolutionären – Gedanken und beweist, dass er auch als Wissenschaftler Rang und Namen verdient.
Abenteuer Philosophie: Herr Geheimrat von Goethe, was sagen Sie zu unserer heutigen Wissenschaft?
Goethe: … mit der wir es so herrlich weit gebracht haben … bis zu den Sternen weit!? Ja, das gilt aber nur für die einfachen Gemüter. Wenn man mit philosophischem Auge die Sache genauer betrachtet, so erkennt man, dass wir eigentlich nichts wissen.
Abenteuer Philosophie: Das ist ein sehr hartes Urteil – und wohl mit Ihrer berühmten Faustfigur gesprochen.
Goethe: Hart, aber voller Überzeugung, und wenn Sie es mir erlauben, werde ich das gerne näher ausführen. Nun! Ich suche – genauso wie ich meinen Faust sagen lasse – „was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält“, und bemerke, dass mir das die heutige Wissenschaft nicht bietet. Aus diesem Grunde habe ich mir, als ich mich mit der Farbenlehre auseinander-zusetzen begann, zunächst einen Überblick verschafft – beginnend bei Pythagoras, Platon hinauf zu Leonardo da Vinci, Roger Bacon und Paracelsus bis zur heutigen Zeit. Dabei habe ich bemerkt, dass die Menschen immer „selbstständiger“ werden wollen, das Überlieferte an Autorität und Achtung verliert und das Denken immer unduldsamer wird – auch gegen notwendiges und nützliches Lernen. Das geht so weit, dass sich heutige Wissenschafter erkühnen, über alles, was bisher auf der Tafel des Wissens verzeichnet war, mit dem Schwamme drüberzufahren.
Abenteuer Philosophie: Können Sie dazu ein Beispiel geben?
Goethe: Ja, ich denke hier z. B. an die newtonsche Lehre von den Farben. Noch nie hat jemals wissenschaftlicher Dünkel mit solch unerträglichem Übermute auf alles herabgesehen, was vor ihr geleistet war, wie hier. Ich vergleiche seine Lehre oft mit einer alten Burg, welche vom Erbauer anfangs mit jugendlicher Übereilung angelegt, die alte Tradition mit Füßen tretend und nun scheinbar gefestigt und unantastbar steht – und niemandem fällt es auf, dass der Bau unbewohnbar geworden.
Abenteuer Philosophie: Sie schätzen die Tradition sehr hoch ein?
Goethe: Ja, denn die Geschichte der Wissenschaft ist die Wissenschaft selbst. Man kann dasjenige, was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andere vor uns besessen, zu erkennen weiß.
Abenteuer Philosophie: Basiert Ihre Farbenlehre auch auf Tradition? Bzw. woher nehmen Sie die Sicherheit der Richtigkeit Ihrer Lehre?
Goethe: Es ist meine Methode, gestützt auf Tradition und Bescheidenheit in der Betrachtung der Natur. So ist meine Farbenlehre nicht neu. Viele andere Treffliche haben vor mir dasselbige gefunden und gesagt. Aber dass ich es wieder sage und dass ich dafür strebe, in einer konfusen Welt dem Wahren wieder Eingang zu verschaffen, ist mein Verdienst.
Abenteuer Philosophie: Was sagen Sie zu den neuesten Forschungen?
Goethe: Mögen einige meiner Details sich als Irrtum herausstellen, die sich insbesondere durch verbesserte optische Apparate offenbaren werden, aber an meiner Grundkonzeption wird sich trotzdem nichts ändern … und gerade in der Praxis und im Experiment zeigt sich sehr schnell der Unterschied, durch welche Pforte man zum Wissen kommt, empfindet man sehr schnell das Hohle, das Falsche auf der einen Seite und auf der anderen das Wahre und Gültige einer Theorie.
Abenteuer Philosophie: Ja, das stimmt. Wenn man an den Bezold-Brücke-Effekt denkt, dann bestätigt er Ihre Theorie und spricht gegen Newton. (Anmerkung der Redaktion: Dieser besagt, dass das Licht einer bestimmten Wellenlänge in unterschiedlichen Farben erscheint, wenn die Intensität des Lichts stark zu- oder abnimmt. Newton behauptet aber, dass sich einzelne Spektralfarben (d.h., bestimmte Wellenlängen) nicht weiter zerlegen lassen.) Ganz kurz: Was ist aus Ihrer Sicht falsch an Newton und was sagt Ihre Lehre in Hauptzügen?
Goethe: Newton stützt sich darauf, dass weißes Licht aus farbigem zusammengesetzt ist und z. B. durch ein Prisma in sieben bzw. unzählig viele Komponenten zerlegt und dann wieder zusammengesetzt werden kann. Ich hingegen sage, dass das Licht das einfachste, unzerlegbarste, homogenste Wesen ist, das wir kennen. Es ist nicht zusammengesetzt, am allerwenigsten aus farbigen Lichtern. Die Farben entstehen durch Modifikation des Lichtes durch äußere Umstände. Sie werden an dem Licht erregt, nicht aus dem Licht entwickelt. Hören die Bedingungen auf, so ist das Licht farblos wie vorher. Es gibt nur zwei reine Farben, Blau und Gelb. Eine Farbeigenschaft, die beiden zukommt, Rot, und zwei Mischungen, Grün und Purpur; die übrigen sind Stufen dieser Farben oder unrein.
Abenteuer Philosophie: Das ist ja sehr interessant. Das erschüttert ja wirklich unser Farbenweltbild. Darf ich noch eine Frage zu Ihrem berühmten Zitat stellen: „Wär´ nicht das Auge sonnenhaft, wie könnten wir das Licht erblicken? Lebt´ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt´ uns Göttliches entzücken?“ Was wollen Sie damit ausdrücken?
Goethe: Zunächst mal stammt dieser Satz von den alten Vorsokratikern und wurde auch von Mystikern formuliert – von mir stammt nur dieser Text in Reimen. Es zeigt die unmittelbare Verwandtschaft Gottes mit dem Menschen bzw. des Lichtes mit dem Auge, welches auch ein Lebendiges ist. Sehen ist nicht passiv, sondern aktives Wechselwirken in sich selbst und nach außen hin, sodass das innere Licht dem äußeren entgegentritt. Hier äußert sich auch die ewige Formel des Lebens: Das Helle fordert Dunkelheit und das Dunkle Licht. Es ist das Streben nach dem Ganzen – nach Einheit: Das Auge strebt zum Licht, gleich wie der Philosoph zur Wahrheit.
Anmerkung der Redaktion:
Die Antworten Goethes (28.8.1749 – 22.3.1832) stammen frei aus der Einleitung zum historischen Teil, Einleitung und Vorwort zum didaktischen Teil, Abteilung I: Physiologische Farben seiner Farbenlehre und aus einem Brief an Eckermann. Das Interview mit UNzeitgenossen führte Mag. Barbara Fripertinger.
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